Musik in der Begleitung am Lebensende

By: Simone Viviane Plechinger
  • Summary

  • Ich bin Simone Viviane Plechinger, Musiktherapeutin und Fachbuchautorin. Keinem anderen Medium in der Begleitung von Menschen am Lebensende wird meiner Ansicht nach so viel Tiefe und Anerkennung und gleichzeitig so viel Ablehnung und Entwertung zuteil wie der Musik. In meinem neuen Buch „Musik in der Begleitung am Lebensende“, erschienen in der Reihe Palliative Care für Einsteiger im Hospizverlag, lasse ich Euch an meinen Erfahrungen und Gedanken zur Musik teilhaben. Musik ist Ausdruck vom menschlichen Leben und Sterben. Nicht mehr und nicht weniger. Musik ist eine Möglichkeit, im Rahmen von palliativer Begleitung sowohl emotional als auch funktional für den Erhalt von Lebensqualität zu sorgen. Nicht mehr, jedoch auch nicht weniger. Mit diesem Podcast lade ich Euch ein, in die im Buch beschriebenen Fallgeschichten einzutauchen. Ich lade Euch ein, mehr über Musik in der Begleitung von sterbenden Menschen jenseits der gängigen Glaubenssätze zu erspüren.
    Simone Viviane Plechinger, Königstein im Taunus
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Episodes
  • Die Kolibris, Beatles und Heidschi Bumbeidschi
    Jun 3 2020
    Ich klopfe an ihre Zimmertür auf der Palliativ-Station, um mich vorzustellen. Wir kennen uns noch nicht. Keine Reaktion. Behutsam öffne ich die Tür einen Spalt. Sie hat die Augen geschlossen, scheint ruhig zu schlafen. „Kommen Sie rein und singen Sie für mich", sagt sie unvermittelt. Ich betrete ihr Zimmer und entdecke, dass sie nicht allein ist. Ihr Mann und ihre Nichte sind zu Besuch. „Beatles" sagen alle, Beatles sei DIE Musik ihres Lebens. Beatles sollen es sein. Wir, die wir uns noch nie zuvor begegnet sind, knüpfen Kontakt über die Musik. Ein sehr schönes Beatles-Medley erklingt, Töne füllen den Raum, ich bin fasziniert, dass auch die junge Nichte so kraftvoll mitsingt und alle Songs zu kennen scheint. Dennoch – ich habe das Gefühl, ich erreiche sie nicht. Sie, um die es mir geht, sie in ihrem Bett. Als der Mann und die Nichte zu einem Kaffee aufbrechen, sagt sie genauso unvermittelt wie zum Beginn unserer Begegnung und ob ihres ebenfalls recht jungen Alters überraschend: „Aba Heidschi Bumbeidschi – kennen Sie das?!" „Ja", sage ich, „klar kenne ich das". „Können Sie das für mich sin- gen?" Klar kann ich das. Und da ist sie – eine unerklärliche Nähe, der Zauber der Musik mit all ihrer Bedeutung, die nur sie in diesem Bett ihr und der Situation zu geben vermag. Und dann erzählt sie: Wie gern sie Mutter geworden wäre, vom Abschied des Wunsches, eigene Kinder zu haben und vom bevorstehenden Abschied aus dieser Welt. Über ihrem Bett hängen zwei wunderschön bunte Kolibris aus Glas. Wer die mitgebracht hat, möchte ich wissen. „Meine Nichte", sagt sie. „Für die allerbeste Tante auf der ganzen Welt", sage ich. „Sie sind nicht Mutter geworden, aber Sie sind die aller- beste Tante, die man sich nur wünschen kann". Und dann lacht sie. Aba Heidschi Bumbeidschi. Über Musik wird in den schwer kranken und sterbenden Menschen oftmals ein Interesse geweckt, den roten Faden des eigenen Lebens noch mal von einer anderen Seite aufzurollen, ihn wieder zu entdecken und in die Hand zu nehmen. Die Beschäftigung mit den unterschiedlichen Biografien der Menschen am Lebensende und ihren Verknüpfungen mit ihrer Musik ist immer eine Auseinandersetzung mit dem Leben in der Gegenwart, der Vergangenheit und der Zukunft. In der Momentaufnahme der Gegenwart entstehen Veränderungen der Lebenssituation, werden Fragen oder Gedanken, die uns umtreiben, sichtbar. Die Musik spannt dabei einen Bogen durch die Zeit und gibt der Lebensgeschichte eine Form und eine neue Gestalt. Scheinbar ist es uns Menschen ein tiefes Bedürfnis, Erlebtes in Sinnzusam- menhänge zu stellen. Dies geschieht – wenn auch zunächst auf ganz unbewusster Ebene – in der Begegnung in dieser Geschichte. Aba Heidschi Bumbeidschi entspringt einer besonderen Lebenssituation (der Tatsache, dass sie keine eigenen Kinder bekommen hat), die nun im Prozess ihres Abschieds aus dieser Welt (also mit Blick auf ihren Horizont, ihre Zukunft) wieder bedeutsam wird. Die Erinnerung an dieses Wiegenlied ist Ausdruck des Wunsches, ihrer „Biografie“ eine neue Form zu geben, sie neu zu „schreiben“, in andere Zusammenhänge zu stellen, neu anzusehen. Um noch einmal bei den Symbolen zu bleiben: Die Kolibris über ihrem Bett für die beste Tante der Welt gelten bei den Mayas als Boten einer neuen Welt. Die Mayas glauben, dass sie „aus der Zukunft in unsere Zeit gekommen sind, um Licht, Hoffnung und Liebe zu schenken und uns auf die neue Welt vorzubereiten. Sein Gesang sei eine „Melodie der Extase“. Ein Kolibri beinhaltet für die Maya die Fähigkeit, das Gute in jeder Situation zum Vorschein zu bringen. Ich wüsste nicht, was diese Situation ihrer Lebensbilanzierung, ihrer Biographie in neuen Sinnzusammenhängen besser beschreibt. Sie ist nicht Mutter geworden, doch sie ist ganz sicher die beste Tante, die man sich wünschen kann. Aba Heidschi Bumbeidschi.
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    7 mins
  • Die Pfadfinder
    Jun 1 2020
    Sie weiß, dass sie bald sterben wird. Ihre Familie und Freunde wissen es auch. Schwer aushaltbar ist sie dennoch, die Situation und manchmal auch die Begegnung mit ihr. Alle möchten alles richtig machen, gerade, weil sie nahezu ausschließlich mit den Augen kommunizieren kann. Sie versucht zu sprechen, ist aber aufgrund der Lähmungen durch das ALS kaum zu verstehen. Ihre Wünsche sprichwörtlich von den Augen abzulesen – das fällt uns allen gar nicht so leicht. Manchmal denke ich, sie möchte am liebsten ihre Ruhe haben – nicht dauernd ein Hörspiel hören, nicht immer zusehen, wie der Enkel der Freundin durch das Zimmer turnt. Und dann – dann denke ich genau das Gegenteil. Auch ich bin mittendrin in den Ambivalenzen der Familie, in ihrer ureigenen inneren Zerrissenheit mit allen Emotionen. Und mit Musik und ohne. Ich spüre meine Anspannung und auch, wie intensiv ich auf ihre Mimik achte, um kleinste Verände- rungen gut wahrnehmen zu können. Manchmal ist es einfach. Da sind ruhige Atmung und funkelnde Augen am Start, wenn ihr Mann von seiner Zeit als Förster und Jäger erzählt, alle im Raum Geschichten voll Jägerlatein auspacken und sämtliche Lieder zu dem Thema, die wir kennen, den Raum füllen. Manchmal ist es schwer, wenn alle Unsicherheiten, ihre und unsere, im Raum gefühlt Überhand nehmen oder sie etwas sagen möchte, was wir nicht verstehen. Ich ziehe meinen imaginären Hut vor ihrer Geduld mit uns. Und dann ist er da, der Tag, an dem deutlich wird, dass sie balder als bald sterben wird. Ihre Töchter sind da, stehen um ihr Bett, rahmen sie ein und alle drei – sie in ihrem Bett plus die jungen, erwachsenen Kinder – sehen strahlend schön aus. Eine andächtige Stille breitet sich aus. „Pfadfinder“ sagt sie leise, kaum hörbar. Ja – Pfadfinder, das waren sie alle. Die Töchter erzählen: Von dreckigen Hosen, die Mama kurzerhand nach den Tagen im Wald erst einmal mit dem Gartenschlauch ab- gespritzt hat. Vom Zeltlager, vom Singen am Lagerfeuer, von der besonderen Atmosphäre und was sie in ihrer Jugendzeit bei und durch die Pfadfinder gelernt haben. Ein Lächeln ist zu erkennen auf ihrem Gesicht, aber auch Unruhe. Sie möchte etwas sagen. „Pfadfinder-Lied“, ergänzt sie. „Aaaah, ich weiß“, ruft die jüngste Tochter und fragt,„‚Nehmt Abschied, Brüder!‘ meinst Du das?“ Sie blinzelt mit den Augen. Ja. Wir singen. Die andächtige Stille wandelt sich in einen andächtigen Gesang. Glücklich und entspannt liegt sie da. Atmet seltener, jedoch nicht angestrengt. Die Mädchen erzählen, dass dieses Lied immer das letzte Lied vor dem Abschied im Zeltlager gewesen sei. Und dass noch etwas fehle. Ein Spruch, der zu diesem Lied und zu den Pfadfindern gehöre: „Wir lösen das Band unserer Hände, jedoch niemals das unserer Herzen.“ Als Gegenpol zu den Atmosphären am Bett, den erlebten Am- bivalenzen aller, als Gegenpol zum Erleben von Hilflosigkeit, Ohnmacht, unserer Angst vor Stille oder der Angst vor Über- forderung gestaltet sie ihren Abschied. Sie gestaltet ihn mit einem für alle vertrauten Ritual und im Vertrauen darauf, dass dieses Ritual von allen erkannt wird. Sie gestaltet ihn mit ihren Möglichkeiten. Sie gestaltet ihn mit ihren Möglichkeiten und das Gestalten ihres Abschieds ist ihr wichtig. Wie hoch die Bedeutung dieses Aktes der Autonomie für sie ist, können wir nur erahnen. For auld lang syne - wir lösen das Band unserer Hände, doch niemals das unserer Herzen.
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    8 mins
  • Rocking around the christmas tree
    May 28 2020
    Wir sitzen an ihrem Bett auf der Palliativ-Station, ihr Vater und ich, wenige Tage vor Weihnachten. Es ist mild draußen. Sie macht sich auf den Weg zu ihrer letzten Reise, und er erinnert sich, formt und formuliert die inneren Bilder aus gemeinsam geteilter Lebenszeit. Das Weihnachtsfest haben wir immer geliebt, sagt er. Und dann wird es richtig laut in der Begegnung an ihrem Bett. 'Rocking around the christmas tree' ist einer ihrer Lieblingssongs. Der Vater singt mit kräftiger Stimme zu meiner Version mit dem Akkordeon, manchmal gibt`s Applaus von unterschiedlichen Ecken der Station. Es macht ein gutes Gefühl, etwas für die sterbende Tochter tun zu können, etwas zu tun zu haben, was innigste Nähe und Verbindung schafft. Es macht ein gutes Gefühl, dass andere Personen auf der Palliativ-Station dies wahr- nehmen und über das Hören des Songs auf ihre Weise und mit ihren Emotionen dem Vater und der Tochter Wertschät- zung übermitteln. Zweieinhalb Jahre später sitze ich an seinem Bett auf der Palliativ-Station. Es ist Mai und mehr als mild draußen. Es fühle sich mehr als komisch an wieder hier zu sein, sagt er, und gleichzeitig habe er gewusst, dass er nirgends sonst so gut aufgehoben sei. Different year, different day, same great shit. Fuck cancer. 26 Grad draußen und bei uns drinnen wird es laut: Rocking around the christmas tree. Unter Tränen lacht er und meint:„Unter all dem Schmerz gibt es doch immer wahnsinnig schöne Zufälle im Leben: Einer davon ist, dass ich Ihnen wieder begegnet bin, und wir hier jetzt singen – Weihnachtslieder im Sommer." Und ich denke: Danke für die wertvolle, lebenstaugliche Erinnerung daran, dass über- all da, wo Schatten ist, auch Licht sein muss. Dass da, wo Tränen sind, auch Lachen ist. Und laute Musik. Lieder sind vergessene Schätze unserer Gemeinschaft, unseres Zusammenlebens. Ihre Bedeutung ist so vielschichtig wie wir selbst, und diese Vielschichtigkeit ist uns im Alltag nur selten bewusst. In der palliativen Begleitung kann es immer wieder wertvoll sein, diese Vielschichtigkeit in all ihre Facetten ins Bewusstsein zu heben. Und mit ihnen die Symbolkraft und die Metaphern der Liedtexte. In den Liedtexten sind – ähnlich wie in Märchenerzählungen – existenzielle Themen des Menschseins eincodiert. Lieder transportieren zwischenmenschliche Atmosphären auf vielschichtige Art und Weise. So geht es in den meisten Liedern um die Liebe, aber auch um Heimat, Identität, Abschied, Versöhnung, Aufbruch ins Unbekannte, Tod und Trauer – alles Themen, die Menschen am Ende ihres Lebens zutiefst beschäftigen. Lieder sind Begleiter beim Abschied und bilden gleichzeitig eine Brücke zum Leben. Dort, wo es uns gelingt, diese Brücke wachsen zu lassen, können Lieder zu einem Anker der Sicherheit werden. Lieder helfen trauern. Sie tun dies in all ihren Facetten in der Vielschichtigkeit eines jeden Trauerprozesses: Sie halten Angst, Ambivalenz, Aggression, Verwirrung, Hoff- nung, Lachen, Weinen, Straucheln aus – was immer an Emotionen da ist, die Lieder sind es auch. Und wenn es laut werden soll, dann „darf“ es auch das. Die Musiktherapeutin Monika Baumann sagt dazu: „Trauern ist eine Kunst und braucht künstlerischen Ausdruck im weitesten Sinne. Zum Trauern brauchen wir innere und äußere Räume, in denen wir uns unserer Liebe bewusst werden zu dem, was wir betrauern". Es ist an uns, offen für die Symbole unseres Lebens-Soundtracks zu sein, und sie möglicherweise als Steine einer Brücke, als Hilfe zum Trauern für Zugehörige zu verstehen. Danke für die wertvolle, lebenstaugliche Erinnerung daran, dass überall da, wo Schatten ist, auch Licht sein muss. Dass da, wo Tränen sind, auch Lachen ist. Und laute Musik. Musik: "Back and Forth" by Lane King @artlist.io "Wonderful Christmas" by Wolf Samuels @artlist.io "Telling Stories" by Borrtex @artlist.io
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    6 mins

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