• Der Klang des Meeres

  • Mar 31 2020
  • Length: 4 mins
  • Podcast

  • Summary

  • Ans Meer sei sie gerne gereist. Italien. „In den 60er Jahren“, sagt sie. Ich sehe sie vor mir, vor meinem inneren Auge, diese hübsche junge Frau in ihren luftigen, bunt-geblümten Som- merkleidern und singe leise den Schlager von Peter Alexan- der und Caterina Valente vor mich hin: „Komm ein bisschen mit nach Italien, komm ein bisschen mit ans blaue Meer." Sie hat sich aufgesetzt in ihrem Hospiz-Bett und hält die Ocean Drum in ihren Händen, ein Instrument in Form ei- ner Trommel, gefüllt mit kleinen Kügelchen, die wir aus den Geduldsspielen kennen, bei denen man die Kugeln in den passenden Löchern versenken muss. Nur, dass es hier keine Löcher gibt. Gleiten die Kugeln über den Boden des Instrumentes, wenn man die „Meerestrommel“ vorsichtig hin und her bewegt, so erzeugen die Kugeln einen Klang, der an das Anspülen von Wellen erinnert. „Diese blöden Metastasen im Kopf“, sagt sie.„Ich kann mich gar nicht mehr genau erinnern. Ich vergesse alles. Sind Sie schon einmal Menschen begegnet, die alles vergessen?", fragt sie in unsere musikalische Begegnung und in mein Kopfkino hinein. Und fügt hinzu: „Wie denken Sie über das Vergessen?“ Ich denke, sage ich, dass es gar nicht wichtig ist, ob man sich an Details und das alles erinnert, sage ich, weil ich fest glaube, dass das einzig Bedeutsame ist, wie wir uns in einer Situation gefühlt haben. Und dass man Gefühle gar nicht vergessen kann. Dass sie immer da sind. Und abrufbar. Und dass ich fest glaube, dass nette Menschen dafür sorgen, dass ich mich wohlfühle, wenn ich selbst vergessen habe, wie das geht. Laute Stille. Sie denkt, nein, spürt der Situation und meinen Worten nach, während sie die „Wellen“ mit der Ocean Drum weiterrauschen lässt. Dann sagt sie: „Ken- nen Sie das Gefühl, wenn die Wellen an den Strand spülen, die heißen Füße abkühlen und das Wasser so richtig fest gegen die Beine drückt, dass man beinahe umfällt und einem die Schienbeine davon prickeln?" x Musik und Klänge erwecken Emotionen und Erinnerungen. Sie sind eng mit dem ältesten Teil unseres Gehirns, dem lim- bischen System, verbunden und auch dann abrufbar, wenn unser Gehirn durch eine Erkrankung in seinen Funktionen ein- geschränkt ist. Musik ist resistent gegen das Vergessen. Unser Gehirn ist in der Lage, blitzschnell zu entscheiden, ob eine Situation für uns Bedrohung oder Entspannung bedeutet. Die Einordnung von Klängen hilft ihm dabei. In der Folge kön- nen Klänge – achtsam und mit Kenntnis eingesetzt – Unterstüt- zung beim Schaffen von Situationen bieten, die Sicherheit und Geborgenheit für die uns anvertrauten Menschen bedeuten. Musikalische Begegnungen im Kontext von Palliative Care sind wie jede andere Begegnung ohne Musik im Kontext von Palliative Care niemals eine Einbahnstraße. Jeder Klang, jedes Lied, jede Improvisation, jede gemeinsam geteilte Musik lässt eine Spur der Erinnerung und eine Perlenkette von Emotionen in meinem Herz und in meinem Kopf zurück. Ich werde mich immer daran erinnern, wie ich mich in diesem einen Moment an ihrem Hospiz-Bett in unserer Begegnung unter ihrer Musik mit der Ocean Drum gefühlt habe. Komm ein bisschen mit ans blaue Meer. Musik: "Back and Forth" by Lane King @Artlist.io "Blue Ocean" by Runa Blesvik @Artlist.io
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