• Extra: Schatten unter Schatten
    Jun 13 2025
    Dass die meisten Gedichte traurig sind, ist ein eher banaler Befund. Weniger banal als bitter ist die Tatsache, dass die Dichter der Moderne zwischen 1850 und 1950 oft ein trauriges und kurzes Leben hatten. Dafür sorgten Kriege, Lager, Armut, Hunger und Krankheiten – und zuweilen auch unglückliche Lieben. Man schaue sich nur mal die Geburts- und Todesdaten in Enzenbergers Anthologie „Museum der Modernen Poesie“ an. Eine ganz besonders traurige, ja herzzerreißende Geschichte ist die vom Tod des Franzosen Robert Desnos im Konzentrationslager Theresienstadt. So absurd und surrealistisch und herzzerreißend traurig wie sie sich kein Autor ausgedacht hätte. Der französische Dichter Robert Desnos gehörte zum inneren Kreis der Surrealisten. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er für die Résistance. 1944 wurde er von den Deutschen gefasst, deportiert und in mehrere Konzentrationslager verschleppt. Er überlebte seine Befreiung im Lager Theresienstadt nur wenige Monate. Kurz bevor er dort an Fleckfieber starb, schrieb er angeblich sein berühmtestes Gedicht: Eine Behauptung und eine Versfassung, die vermutlich eine Fälschung sind. Echt allerdings ist sein Gedicht, das wohl die Vorlage dafür war.
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    11 mins
  • Folge 52: Die Langsamkeit der Liebe
    Jun 13 2025
    Er ist 1971 in Stuttgart geboren und lebt schon lange wieder dort: als Autor, Gymnasiallehrer, Jugendtheatermacher und 1. Vorsitzender des Stuttgarter Schriftstellerhauses. Aber er hat 20 Jahre in Mainz gelebt, ist hier aufgewachsen, zur Schule gegangen und hat hier Germanistik, Theaterwissenschaften, Evangelische Theologie und Pädagogik studiert. Rheinland-Pfalz hat ihm die ersten Literaturpreise verliehen, den Förderpreis zum Joseph-Breitbach-Preis und den Literatur-Förderpreis der Stadt Mainz. Hier hat er seine ersten literarischen Texte verfasst und Kontakte in die Literaturszene geknüpft, zu einer Zeit in der Klaus Wiegerling das Mainzer Literaturbüro geleitet hat. Deshalb darf dieser als Gesprächspartner in Folge 52 von Podcastliteratur.de nicht fehlen. Sie stellt Moritz Heger in Lesung und Gespräch vor am Beispiel seiner beiden jüngsten Romane „Aus der Mitte des Sees“ und „Zeit der Zikaden“. Beide Bücher bestechen durch die besondere Langsamkeit und Achtsamkeit mit der sich die Liebe zwischen den Protagonisten entwickelt.
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    59 mins
  • Extra: Von Genossen erschossen
    May 13 2025
    „Eran polvo, mas, polvo enamorado?“ – „Sie werden Staub sein, aber verliebter Staub?" Mein Lieblingsgedicht von Roque Dalton. „Nach der Atombombe“ ist der Titel dieses Epigramms. Das mich immer wieder zu Karaoke anstiftet: Braucht man den Titel? Ist das nicht die wichtigste Frage nach jedem Tod? Und gilt das nicht für uns alle? Sollte es nicht noch besser lauten: „ Wir werden Staub sein. Aber Staub, der geliebt hat?“ „Seremos polvo, pero polvo amó?“ Noch ein Karaoke: „Wir werden Sternenstaub sein. Aber Sternenstaub, der geliebt hat?“ Das ihn mit dem nicaraguanischen Dichter Ernesto Cardenal verschmilzt, der mir als erster von Roque Dalton erzählt hat. Den sie damals alle kannten und verehrten. Damals, in den 1970er Jahren. Als sie in Nicaragua nicht ahnten, dass sie ein ähnliches Schicksal treffen würde: Kinder einer Revolution, die ihre Kinder fressen würde. Roque Dalton wurde am 14. Mai 1935 in San Salvador geboren. Schon als junger Mann engagierte er sich politisch gegen die rechte Diktatur in El Salvador. Zweimal wurde er zum Tode verurteilt, zweimal entging er wie durch ein Wunder der Exekution. Nach Jahren des Exils kehrte er heimlich nach El Salvador zurück und schloss sich der Guerilla an. Am 10. Mai 1975 erschossen ihn die eigenen Genossen unter dem Vorwand ein Agent der CIA zu sein. Was in Wahrheit Folge eines Machtkampfs war. Zu diesem ideologischen Machtkampf kam seine Persönlichkeit. Er war ein undogmatischer Charakter, mit schwarzem Humor, Ironie, Sarkasmus und Spott, mit offener Kritik, auch gegenüber den eigenen Genossen. Und die können, auch wir mussten diese Erfahrungen machen, das gar nicht gut ertragen. Roque Dalton thematisiert in seinen Gedichten die Konflikte in El Salvador. Sie reden von den politischen Auseinandersetzungen, von den sozialen Problemen, vom Elend der Unterdrückten. Seine Lyrik markiert eine fundamentale Wende in der Literatur von Zentralamerika. Sie vollzieht eine ethische Wende, will politischen und sozialen Einfluss nehmen. Und sie vollzieht eine poetische Wende:„Poesia, perdoname por haberte hecho comprender/ que no estás hecha sólo de palabras“ – „Poesie, verzeih mir, das ich dir geholfen habe zu begreifen/ dass du nicht nur aus Wörtern gemacht bist!“
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    16 mins
  • Folge 51: Die Launen der Zicke
    May 13 2025
    Es ist das Jahr 1956. Das Saarland, bisher von Frankreich verwaltet, kommt zur BRD. Robert ist neun, als sein Vater beschließt, seinem französischen Chef nach Marokko zu folgen und seine Familie mitzunehmen. Nach der langen Fahrt mit einem klapprigen DeuxCheveux, bei der sich Robert, vom ständigen Streit seiner Eltern genervt, an die Zeit seiner Kindheit im Saarland erinnert, landen sie in der französischen Kolonie im Grenzgebiet zwischen Marokko und Algerien, wo der Vater in einem Zinkbergwerk arbeitet und wenig zu Hause ist. Während Robert die fremde, wüstenähnliche Gegend erkundet, die auf algerischer Seite Schauplatz des Kolonialkriegs zwischen Frankreich und Algerien ist, und einheimische Freunde findet, bleibt die Mutter, die nicht französisch spricht, isoliert in der Siedlung zurück. Mit der Zeit wird sie immer seltsamer: Sie legt sich einen wahren Zoo von Tieren zu, in deren Mittelpunkt eine halbverreckte Ziege steht, die sie aufzupäppeln versucht. Aus ihrem schrägen Verhalten wird bald eine Boderline-Krise, die mit einem fulminant erzählten Showdown endet. Genau genommen müsste Dominik Bollows Buch also „Die Launen der Zicke“ heißen, denn es ist ja die Mutter, die immer wunderlicher wird, während das Tier nur krank und nicht launisch ist. Dominik Bollow wurde 1984 in Saarbrücken geboren und lebt in Berlin. Für das Manuskript seines Debütromans, in dem er Teile seiner Familiengeschichte aus der Perspektive seines damals neun- bis fünfzehnjährigen Vaters erzählt, erhielt er 2020 das Ludwig-Harig-Stipendium. In Folge 51 reden Ralph Schock, ehemaliger Chef der Literaturabteilung des SR, und Theo Schneider mit dem Autor Dominik Bollow, der ausführliche Passagen daraus liest.
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    55 mins
  • Folge 50: Die sprachliche Gestalt von Glück: Das gelungene Gedicht!
    May 13 2025
    Im vorigen Jahr ist er 80 geworden: Jürgen Theobaldy. Er stammt aus Ludwigshafen, ist im Mannheimer Arbeitermilieu aufgewachsen, von dem viele seiner frühen Texte inspiriert sind. In Heidelberg hat er studiert und an der Studentenbewegung teilgenommen, dann ist er nach Berlin gezogen und seit vier Jahrzehnten lebt, arbeitet und liebt er in der Schweiz. Als Dichter hat er Literaturgeschichte geschrieben, als er und andere junge Autoren in den 70er Jahren die deutsche Lyrik erneuert haben mit „Alltagslyrik“ und „Neuer Sensibilität“. Indem sie alltägliche Erfahrungen zum Gegenstand ihrer Gedichte machten und in umgangssprachlichen Redeweisen formulierten. Und im Gegensatz zu damals verbreiteten Forderungen politisch propagandistisch zu schreiben, bestanden sie auf der Wichtigkeit auch ihrer ganz persönlichen, intimen Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen und auf deren Ausdruck in ihrer Literatur.
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    1 hr and 10 mins
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